Zu wenig Spielerinnen und Spieler mit Migrationshintergrund im Handball

FDDH unterstützt Ansätze des DHB

Eins fällt in deutschen Sporthallen und auch bei den Nationalmannschaften immer wieder auf: Im Handball gibt es wenig Spielerinnen und Spieler mit Migrationshintergrund. Dabei steigt der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund gerade im spielfähigen Alter immer weiter an. Ohne sie wird es in Zukunft sehr schwer, den Spielbetrieb weiter aufrecht zu erhalten. Dieses Problem hat der Deutsche Handballbund erkannt und wird handeln. Der Freundeskreis des Deutschen Handballs unterstützt die Ansätze des DHB.

Gemeinsam mit Prof. Dr. Klaus Cachay von der Uni Bielefeld hat Prof. Dr. Carmen Borggrefe eine Studie zum Problem der Unterrepräsentanz von Spielerinnen und Spielern mit Migrationshintergrund durchgeführt. Sie leitet an der Universität Stuttgart die Abteilung Sportsoziologie und -management.

Mit ihr sprach Johannes Weber, stellvertretender Vorsitzender des FDDH.

FDDH: „ Wie kamen sie auf die Idee, eine Studie zu diesem Thema zu erstellen. Was haben sie dort genau untersucht?“

Frau Borggrefe: Prof. Cachay und ich haben das Phänomen der Unterrepräsentanz von Spielerinnen und Spielern mit Migrationshintergrund im Handball schon seit vielen Jahren beobachtet. In den Jahren 2016 bis 2018 konnten wir dann mit Unterstützung des Bundesinstituts für Sportwissenschaft eine empirische Studie durchführen, in der wir Ursachen der Unterrepräsentanz erforscht haben. Wir haben uns dabei sowohl Barrieren auf Seiten der Handballvereine, als auch auf Seiten der Personen mit Migrationshintergrund angeschaut.

FDDH: „ Was ist Ihnen denn besonders aufgefallen und woran liegt es, dass so gut wie keine Menschen mit Migrationshintergrund Handball spielen?“

Frau Borggrefe: Die Sportartsozialisation der Kinder und Jugendlichen spielt eine wichtige Rolle. In vielen Familien mit Migrationshintergrund werden über die Eltern- und Großelterngeneration vor allem Sportarten tradiert, die auch in den Herkunftsländern populär sind, allen voran Fußball und Kampfsport, bei den Mädchen auch Tanzen. Am wahrscheinlichsten ist es, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund über Freunde zum Handball kommen. Hier besteht aber das Problem, dass sich in der Zusammensetzung der Freundeskreise immer noch segregative Effekte zeigen: Kinder mit und ohne Migrationshintergrund bleiben in den Freundeskreisen immer noch häufig unter sich, so dass auch hier der Kontakt zu der Sportart Handball fehlt. Und auch die dritte zentrale Sozialisationsinstanz, die Schule, fördert ein Handballengagement nicht wirklich, weil Handball im schulischen Sportunterricht kaum eine Rolle spielt.

Ein weiterer bedeutsamer Ausschlussfaktor, auf den wir in unserer Studie gestoßen sind, ist die Tatsache, dass Handball als eine „deutsche Sportart“ wahrgenommen wird, und zwar sowohl von den Handballspielerinnen und -spielern selbst, als auch von den Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die wir befragt haben. Das „typisch Deutsche“ wird zum Beispiel mit Merkmalen wie Bodenständigkeit, Geselligkeit, Authentizität, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit und Teamfähigkeit assoziiert. Handballer fühlen sich sehr wohl in diesem Milieu und grenzen sich darüber beispielsweise auch bewusst vom Fußball ab, einer Sportart, die ja bei Personen mit Migrationshintergrund äußerst beliebt. Auch der Deutsche Handballbund setzt mit seiner Kampagne „Es lebe der Sport“ gezielt auf diese Abgrenzung. Für die Mitglieder von Handballvereinen mag dies integrierend wirken, die Frage ist nur, wie es bei Personen mit Migrationshintergrund ankommt. Hier zeigt sich in unserer Studie, dass bei diesen dadurch durchaus Probleme auftreten können, in einem Handballverein Zugehörigkeit zu erfahren, dass sie sich in ihrer Herkunftscommunity rechtfertigen müssen, warum sie eine – in Anführungsstrichen – „deutsche“ Sportart betreiben wollen.

FDDH: „ Grundsätzlich ist ja festzustellen, dass der Handball dringend Nachwuchs benötigt. Was kann denn da getan werden?“

Frau Borggrefe: Um seinen Bestand an Mannschaften und Mitgliedern zu sichern, muss der Handball zukünftig auch Kinder erreichen, an die er bisher nicht herankommt. Bundesweit haben bereits über 39 Prozent der Unterfünfjährigen einen Migrationshintergrund, in den meisten Großstädten sind es über 60 Prozent. Wenn es zukünftig nicht gelingt, vermehrt auch aus dieser Gruppe Mitglieder und Talente zu rekrutieren, wird es schwer für den Handball. Diese Gruppe gilt es gezielt anzusprechen über AG- und Ganztagsangebote in den Schulen. Dabei reicht es aber in der Regel nicht, einfach Flyer oder Mitgliedsanträge zu verteilen, sondern man muss die Eltern ansprechen, ihr Vertrauen gewinnen, erklären, wie ein Handballverein funktioniert, d.h., man muss in Kontakt kommen und das Gespräch suchen über AG-Leiter, Trainer, Mitschüler, usw. Dies erscheint mühsam, erweist sich aber als lohnend, denn wenn man erst einmal Familien mit Migrationshintergrund für den Handballverein gewinnt, dann setzt sich dort das Engagement fort, wie wir es von den traditionellen Handballerfamilien kennen. Hier haben wir in unserer Studie wenige Beispiele gefunden, in denen das so funktioniert hat. Solche Strategien darf man aber nicht dem Zufall und dem Engagement einzelner Personen überlassen, sondern es muss gelingen, Handballvereine flächendeckend für eine Öffnung und neue Strategien der Mitgliederrekrutierung zu gewinnen. Ein Anknüpfungspunkt könnte beispielsweise die Traineraus- und -fortbildung sein.

Damit aber überhaupt etwas passiert, müssen die Verbände in den Vereinen erst einmal ein entsprechendes Problembewusstsein schaffen, dass man ohne die Gewinnung von Mitgliedern mit Migrationshintergrund den jetzt schon dramatischen Verlust an Mannschaften nicht wird aufhalten können. Dazu muss das Thema auf der Agenda der Verbände ganz nach oben und man muss sich überlegen, wie man die Vereine erreichen und ihnen helfen kann.

Ein weiterer Punkt ist, dass man versuchen muss, das Image als „deutsche Sportart“ loszuwerden. Hier könnten der DHB und auch die Handballbundesligisten mit entsprechenden Kampagnen tätig werden, wie sie der Deutsche Fußball-Bund beispielsweise schon vor über 15 Jahren durchgeführt hat. 

FDDH: „ Herr Clarke, was sagen Sie zu der Studie? Wie geht der DHB mit diesen Inhalten um und welche Maßnahmen werden ergriffen, um mehr Sportler mit Migrationshintergrund zum Handball zu bringen?“

Georg Clarke: „Der DHB ist sich der Unterrepräsentanz von Menschen mit Migrationshintergrund im Handball schon länger bewusst; auch der Dringlichkeit dieses Themas. Wenn wir es zukünftig nicht schaffen sollten, diese Gruppe an Menschen anzusprechen, wird auch die Gesamtzahl der Handballerinnen und Handballer sinken. Dem versuchen wir mit unseren Aktionen, die schon längere Zeit laufen, entgegenzuwirken. Unser Ziel ist es, jedem Menschen den Weg in den Handballsport zu ermöglichen und sie langfristig zu binden. 

Die ersten Maßnahmen finden bereits statt, auch wenn wir das Thema Migration nicht explizit dabei ansprechen. Insbesondere die Eltern nehmen eine entscheidende Rolle ein, denn wir versuchen die Kinder möglichst früh vom Handball zu begeistern und in die Vereine zu führen. In der Schule sprechen wir alle Kinder u.a. durch das AOK-Startraining, die Grundschulaktionstage und den neu geschaffenen Hanniball-Pass, das Handball-Spielabzeichen, gleichermaßen an. Den Eltern müssen wir gleichzeitig verdeutlichen, welche Vorteile es hat, wenn ihr Kind im Handballverein spielt, sei es im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung oder aber auch der Motorik.

Darüber hinaus überarbeiten wir auch unsere Bildsprache, die sich bereits verändert hat; sei es bei der „Es lebe der Sport-Kampagne“, die den Fokus nun auf den Nachwuchs legt, oder aber bei der Berichterstattung auf dhb.de bzw. auf unseren Social Media-Kanälen. Ziel ist, so viele Menschen wie möglich anzusprechen und vom Handballsport zu begeistern. Im Handball ist jeder herzlich willkommen.“

Foto: Schlotmann